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“Ökologisches Pilotprojekt” unter wissenschaftlicher Begleitung Lange Gasse 7, Quedlinburg

Baugeschichte

Die Lange Gasse 7 steht unterhalb des Burgberges im Westendorf von Quedlinburg und wurde um 1780 errichtet. Die siebenachsige zweigeschossige Fachwerkfassade ist als typische Barockfassade mit geringer Auskragung und vorgeblendeter Profilbohle in den Deckenbereichen gestaltet.

Der Ständerrhythmus mit seiner auf flächige und strenge Axialität ausgerichteten Fassade, betont die horizontale Gliederung durch das Gesims der Profilbohle. Der Südwestgiebel und die Hoffassade waren nachweislich ziegelsichtig mit typisch barocker Zierausfachung angelegt. Das flach gewalmte Dach mit einem vollständig erhaltenen liegenden Dachstuhl komplettiert den Baukörper. Der Haupteingang zum Gebäude befindet sich linksseitig der dominierenden Toreinfahrt. Dahinter schließt sich unmittelbar das Treppenhaus an. Aufgrund der großen Höhe des massiven Sockelgeschosses waren im hinteren südwestlichen Bereich Kammern über zwei Ebenen angeordnet. Beide Obergeschosse wurden für Wohnzwecke errichtet. Das Dachgeschoss wurde als Abstellraum genutzt.

Ökologisches Pilotprojekt unter wissenschaftlicher Begleitung

Mit dem Modellvorhaben: “Ökologisches Pilotprojekt unter wissenschaftlicher Begleitung” – Lange Gasse 7 in Quedlinburg wurde vom Deutschen Fachwerkzentrum e.V. ein Projekt initiiert, welches Fragestellungen wie z.B.: “Sind Umwelt- und Denkmalschutz vereinbar?”, “Ist der Einsatz neuer Materialien und Technologien im Denkmalbereich verträglich?”, “Wie hoch sind die wirtschaftlichen und heizenergetischen Potentiale?” aufgreift und in der Auswertung übertragbare Antworten geben soll.

Die Gesamtmaßnahme wurde umgesetzt in den Jahren 2003 bis 2004 mit Förderung durch das Bauministerium des Landes Sachsen-Anhalt im Programm “Städtebaulicher Denkmalschutz”, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der BauBeCon GmbH als Sanierungsträger der Stadt Quedlinburg sowie der Wohnungswirtschaftsgesellschaft mbH Quedlinburg als Bauherrn. Einen besonderen Anteil hatte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt mit der För-derung der wissenschaftlichen Begleitung im Modellvorhaben.

Ausgangspunkt des Projektes war der aufgrund des jahrelangen Leerstandes stark geschädigte Zustand der Bausubstanz, insbesondere im Bereich der Tragkonstruktion. Aufgrund seiner exponierten Lage, Kubatur und der geplanten Nutzung als Mietshaus eignete sich die Lange Gasse 7 besonders gut, um ein Gesamtkonzept aus ökologisch und bauphysikalisch verträglicher Innendämmung und jeweils angepassten Heiz- und Lüftungsmaßnahmen zu konzipieren. Die fachübergreifende Bewertung von Dauerhaftigkeit, Wohnqualität, Energieeffizienz sowie Bau- und Energiekosten soll nachvollziehbare und umsetzbare Folgerungen ermöglichen.

Neben der Ertüchtigung der stark geschädigten Bausubstanz und der denkmalgerechten Sanierung unter vorrangiger Verwendung ökologischer Baustoffe hatte das Projekt weitere Ziele: die Anwendung moderner Mess- und Prüfverfahren in einem Langzeitversuch zum bauphysikalischen Verhalten der eingesetzten Baustoffe und zum Einfluss des Nutzerverhaltens, ein Kostenvergleich zwischen ökologischem und konventionellem Sanieren unter Berücksichtigung der Unterhaltungskosten sowie die Qualifizierung regional ansässiger Firmen sowie Seminare für Fachplaner.

Die Sanierung des Holzgefüges erfolgte in traditionellen Zimmermannstechniken. Die Gefache der Obergeschosse erhielten historisch nachempfundene ziegelsichtige Zierausfachungen aus schmalen Altziegeln, verlegt in einem Kalkmörtel unter Zusatz von weißem Sand und Häßler Kalk. Bei den Ausbauarbeiten hatte die Verwendung umweltfreundlicher Materialien, wie z.B. Holzparkett, Korkbeläge, Mineralfarben, Stopfdichtung aus Hanffasern etc. Vorrang. Alle Innen- und Außenwände erhielten Putzoberflächen.

Das Bauvorhaben bot mit fünf Wohnungen auf drei Geschossen die Chance, verschiedene Innendämm- und Heizlösungen, Schallschutzmaßnahmen und Fensterausführungen zu realisieren und die langfristigen Auswirkungen auf die Bausubstanz, den Energieverbrauch und das subjektive Nutzerbefinden zu beurteilen. Aufgrund der großen Raumhöhe wurde im Erdgeschoss eine Singlewohnung mit Schlafgalerie und ein Gewerberaum eingerichtet. In den beiden Obergeschossen ist jeweils eine Zwei- und eine Drei-Raumwohnung angeordnet. Auf diese in Raumstruktur und Nutzungsanforderung vergleichbaren Mietwohnungen konzentrieren sich die Untersuchungen. Die wiederkehrende Nord-Süd-Orientierung ermöglicht annähernd vergleichbare Außenklimabedingungen.

Zur Sicherung der Ausführungsqualität dienten baubegleitende Blower-Door-Messungen, Infrarotthermografie und Holzfeuchteprüfungen. Für die Langzeitprüfung werden seit November 2004 die Feuchte- und Temperaturverhältnisse der einzelnen Wandaufbauten sowie auch das Innen- und Außenklima vom BAUKLIMA Ingenieurbüro Eckermann kontinuierlich gemessen. Jede der vier verschiedenen Dämmvarianten verfügt über eine Messachse mit Temperatur- und Feuchtesensoren sowie eine Wärmestromplatte. Die Raumklimafühler so-wie die Bauteilmessachsen befinden sich jeweils in den nach Norden orientierten Schlaf-zimmern der vier Wohnungen. Die wartungsfreie Messwerterfassung erfolgt über zentral auslesbare Datalogger.

In jeder der fünf Wohnungen ist eine andere Innendämmung ausgeführt. In den Wohnungen des 1. Obergeschosses kamen eine Vormauerung aus 175 mm Holzleichtlehmsteinen mit einer Fußbodenheizung sowie eine Innendämmung aus ca. 80 mm Haacke-Cellco-Wärmedämmlehm (? = 0,08 W/[m²K]) und ebenfalls eine Fußbodenheizung zur Anwendung.

Im 2. Obergeschoss kamen Plattensysteme zum Einsatz: Die eine Wohnung erhielt eine Innendämmung mit 60 mm Calsitherm-Klimaplatten und Plattenheizkörper, die andere Wohnung eine Innendämmung mit 60 mm Unger-Diffutherm-Holzweichfaserplatten und eine raumhohe Wandheizung an allen Außenwänden.

Bei allen Dämmsystemen wurden in der Ausführung insbesondere die kritischen Anschlüsse an den Fenstern und an den einbindenden Wänden kontrolliert sowie auf das Vermeiden von Hohlräumen zwischen Fachwerkwand und Dämmung geachtet. Ziel war jeweils die Herstellung eines homogenen Wandaufbaus, der in Lage ist, nicht vermeidbare Auffeuchtungen schnell wieder abzugeben.

Die Untersuchungen zeigen teils erwartete, teils überraschende Ergebnisse. Erwartungsgemäß unterscheiden sich die eingesetzten Systeme zur Innendämmung in ihren bauphysikalischen und heizenergetischen Auswirkungen. Überraschend ist die messtechnisch begründete Erfahrung, dass die eingesetzten Dämmschalen aus den mineralischen Baustoffen Holzleichtlehm und Wärmedämmlehm gegenüber den in der Sanierung üblicherweise eingesetzten Dämmplatten durchaus Vorteile in der praktischen Bewährung besitzen. Dazu gehören sowohl die gegenüber den Vorab-Berechnungen geringeren U-Effektivwerte als auch die bessere Luftdichtheit in der Dämmschale und das reduzierte Risiko von Feuchtekonvektion in den Anschlussbereichen. Bei allen Maßnahmen erfolgt ein nicht unerheblicher Feuchteeintrag. Die Trocknungszeiten variieren allerdings in weitaus stärkerem Maße. Der hohe Stellenwert einer angepassten Baufolge mit ausreichender Lüftung der Räume und hinlänglichen Trocknungszeiten vor Aufbringen des Wandputzes wird hier deutlich.

Mietwohnungen müssen hinsichtlich eines eventuellen Nutzerwechsels und der Gebrauchstauglichkeit wesentlich robuster sein als Bauten zur Eigennutzung. Um die erhöhten Anforderungen für die Auswertung des Projektes zu nutzen, wurde ein Mieterfragebogen entwickelt, der mit den Mietern im Rahmen persönlicher Gespräche erläutert und ausgefüllt wurde. Von ihnen werden die Aufwendungen und Belastungen durch die messtechnischen Untersuchungen sowie Befragungen als durchaus positiv und informativ aufgenommen. Die Dämm- und Heizsysteme werden in allen Fällen akzeptiert und vielfach positiv bewertet. Die Mieter empfinden keine Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit durch die Innendämmung.

Ergebnisse der U-Wert-Berechnungen der unterschiedlichen Wandaufbauten.